Kommentar: trans*Stimmarbeit in der Logopädie - wie soll das funktional gehen? (Und was heißt da "funktional"?)

Wesentlich für das Verständnis der Herangehensweise in meiner Arbeit, ist ein Verständnis für funktional-orientierte Arbeit (siehe: Reid, Rabine, Heptner, Lichtenberger Ansatz etc.). Konservative Ansätze (Tonhöhen, „Resonanz“orientiert) und der revolutionäre LaKru Ansatz waren bekannt, während bis auf die wenigen Texten zum Thema von Michael Heptner funktional wenig bekannt war. Mein Verständnis von Stimme(n) ist hierdurch wesentlich geprägt. Konzepte wie „Stütze“, „Stimmsitz“/“Vordersitz“/“Maske“, „Bauchatmung“, „Zwerchfelltraining“ könnt ihr an dieser Stelle verabschieden und teilweise entsorgen oder anders bewerten. Ein Grundgedanke (Reid) stellt dieser da, dass für die Entfaltung der Stimme der Kehlkopf als Schwingungsgenerator so ungestört wie möglich agieren und funktionieren dürfen sollte – das hieß Abschied nehmen von einer klang- bzw. ästhetik-orientierten und nachahmungsorientierten Stimmarbeit. Durch die Entwicklung einer ausgeprägten sinnlichen Wahrnehmung und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der bis dato bekannten stimmwissenschaftlichen Literatur, wurde ein Buch zur Stimmarbeit geschaffen, an das sich in meiner Bibliothek selten messen konnte („Grundzüge des funktionalen Stimmtrainings“). Das Forschungsprojekt um Rohmert (Rabine, Jacoby, seine Frau) führte unter der Fragestellung nach der Ökonomie des Sänger:innenberufs unter anderem funktionstheoretische Zusammenhangsthesen von Kehlkopffunktion und vielen weiteren Komponenten auf (bspw. Hilfsspannungsketten im Vokaltrakt). Das Buch ist weiterhin noch sehr lesenswert! Außerdem wurde die sogenannte Doppelventilfunktion des Kehlkopfes in Referenz auf die Ärzte (zuerst Victor Negus, dann J. Pressmann) in den gesangspädagogischen und stimmfunktionellen Diskurs eingeführt. Plötzlich wurde der Kehlkopf in seiner Aktivität selbst Knotenpunkt und Abbild verschiedener verbundener Aktivitäten (bspw. Atmung) und Systemen (bspw. Körperspannung in der Aufrichtung). Wahrnehmungs- und Bewegungsübungen bei eingeatmeten und getönten Vokalen, Konsonanten oder Verbindungen aus diesen unterstützen das Finden einer bestimmten Stimmfunktion (bspw. mehr Stimmlippenschluss, mehr Dehnungserleichterung für die Höhe…) und können für die Wünsche der „trans* Stimmarbeit“ herangezogen werden. Verbunden mit der Fragestellung, ob ein Spielen mit Überdrucksystem-typischen Elementen auf differenzierte, steiger- und lösbare Art und Weise unterstützend für einen befriedigenden Klang herangezogen werden kann (bspw. die Schluckhaltung des sogenannten „Twang“ – hierbei gern die Texte von Vennard lesen und nicht nur Estill). Vieles ist möglich! Es täte sowohl therapeutisch-tätigen, als auch den Klient:innen gut, sich schnell von einengenden Ideen von gut - und böse / schlecht und Selbstkritik zu befreien. Eine offene, neugierige, interessierte, verwunderte als auch akzeptierende Grundhaltung und Erfahrung unterstützen die Stimmarbeit am allermeisten. Das bezieht sich auch teilweise auf den Methodendschungel und deren Prämissen - das beziehe ich auch auf mich und meine Aussagen. Ich bemühe mich um eine Darlegung meiner Argumentationsketten und -quellen, aber im angemessenen Umfang oder auf Nachfrage. Einige geschlechtswissenschaftliche Ideen und Texte, und damit sowohl geistes- als auch naturwissenschaftlicher Art, beeinflussen mein angedeutetes Denken nun hier wesentlich - bspw. der Embodying Ansatz von Siegrid Schmitz, die Performativitätskonzepte (u.a. Butler), Butlers Einschreibungskonzept, (Un)Doing Gender (etc.) Konzepte, die Beschäftigung mit phänomenologischen Konzepten, den Sound Studies - maßgeblich durch die Arbeit und Beschäftigung mit Ulrike Sowodniok. Außerdem bin ich seit vielen Jahren eher "Rabine-geprägt" durch meine eigene gesangliche Weiterbildung, aktuell bspw. bei Susanne Eisch im Sinne einer 2jährigen Fortbildung, oder zuvor bei Hilkea Knies und Ulla Keller, die funktionale Gesangsarbeit und populäre Stile miteinander verbinden. Das ist ein wichtiger Fakt, denn darin spiegelt sich auch eine Differenzierung zwischen mehr/minder Über-/Unterdruckdominanz ab. Konzepte werden mitunter kombinierbar - die inhatliche Prioritätenliste mag sich aber verschieben (und das je nach Entscheidung der Person vor mir! Ich beschreibe hier eine therapeutische-Idealvorstellung aus "funktionaler Denke" - manchmal braucht mensch gerade einfach auch mehr). 

 

Wenn die Stimmarbeit (in der Mehrheit wird ein "femininerer" Klang angestrebt - zu anderen Verhältnissen, trans*männlich, nb, kommt nochmal mehr) eher von funktionalen Grundpfeilern aus gedacht werden kann, wie müsste das aussehen? Widersprechen nicht die vitale Aufrichtung, und Atmung (offener, weiter Brustkorb), die runde, lange Vokaltraktöffnung, die elastisch-stabile Kehlkopfsenkung und anstrengungslose, resonanzreiche, laute Stimme geradezu den Zielen? Aufbauend auf meinen bisherigen Eindrücken in verschiedenen Ansätzen und auch maßgeblich von den Schriften Michael Heptners, als auch seinem Ansatz für trans*Stimmarbeit (die ich in einer Weiterbildung bei ihm 21 kennen lernte) beeinflusst, ergeben sich aus meiner Sicht viele Interventionsmöglichkeiten. (Hier möchte ich auch auf die Arbeit von Parrino und Föcking hinweisen). Das Denken der Stimme in "Dimensionen" wie bei Heptner (Buch: "Dimensionen der Stimme", aus meiner Sicht dazu bedingt empfehlenswert das Buch von Knuth, "Zirkeltraining für die Stimme") gegenseitiger Stabilisierung und Bewegung ergibt eine änhliche Kombinierbarkeitsversuchung, wie bspw. im Estill-basierten LaKru Ansatz (wie er mir bekannt ist). Dabei wird eben auch die zwischenmenschliche und individuelle Dimension mit gedacht und ein Bewegen zwischen verschiedenen Ebenen aus Bewegungen, Emotionen und Sinneserfahrungen um die Stimme zur Veränderung zu animieren möglich. Ein Schutzschild für mich gegen neoliberale Vereinnahmungen durch Trends der Körperoptimierung stellt die Grundprämisse funktionalen Stimmtrainings vor, die die Lenkung auf das Wohlempfinden beim Ausführen lenkt (wie bei Feldenkrais) und darüber entscheiden die Menschen oft von selbst mal etwas neues zuzulassen oder auszuprobieren. Es ist eine dynamische, prozessorientierte, ressourcenorientierte, auch abwägende Arbeit. Der Fokus auf lenkbare Erfahrungen von Selbstwirksamkeit durch Selbsterleben im Bewegen stabilisiert ein neues Stimmkonzept als körperliche Erfahrung - nicht als Idee von irgendeinem Stimmsitz oder hochzuhaltenden Raumes, weil mensch die Tools an Einflussnahme auf die Stimmlippen selbst unterschätzt und der bisherige Ansatz und Eingriff eher autonom-regulierte, die Stimme "Reagieren- (statt etwas gewollt zumachen) Lassens" unterwandert hat. Das ist auch mein Problem mit Laienprogrammen auf YouTube, die mitunter großartig strukturiert und durchdacht sind und viele wertvolle Tipps enthalten, aber Übungsreportoire und Ziele an den Tag legen, die ich umformulieren und differenzieren würde oder auch ganz weg lassen würde, um keinen Schaden anzurichten. Damit möchte ich keine Angst machen, aber den Fokus darauf zu lenken, dass ihr bitte beim Üben auch davon immer auf die möglichst anstrengungsfreiste Möglichkeit, Stimme hervorzubringen entscheidet - selbst mit hochgezogenem Kehlkopf oder mehr Enge. Solange der Fokus durch Wahrnehmung auf Anstrengungsfreiheit, Belastbarkeit, Beweglichkeit bleiben kann, wird die Belastung sich annehmbarerweise verringern und die Stimme transferstabiler/sicherer. 

 

Einige Punkte also zu funktionale(re)n Gedanken, und wie diese einige ausgewählte Punkte beeinflussen:

* der Kehlkopf wird angeregt vor dem Hintergrund der Doppelventilfunktionstheorie eine selbstorganisierte, autonome Stimmfunktion zu kreieren

* dies wird begünstigt durch den Abbau willkürlicher Muskelspannungen um diesen herum, um den Klang zu formen, um ein ästhetisch intendiertes Ziel durchzusetzen

* diese Strukturen sind reflektorisch bedeutsam, da sie in Schutzfunktionen eingebunden sind und aktivieren sich daher gegenseitig und auf eine die Neurologie und Biomechanik des Kehlkopfes negativ wirkende Weise auf die Stimmfunktion (diese Aussage ist relativ zu betrachten! Es gibt kein „gut“/„böse“ – es ist mindestens ein Spektrum – es geht hier um ideelle Bedingungen und Differenzierungsmöglichkeiten aus diesen heraus alleine oder mit Zuhilfenahme sonst nicht zuträglicher Aspekte)

* die Fokusverschiebung auf tendenziell autonomere Aspekte der Stimmorganisation (bspw. durch Schwingungswahrnehmungen im Gewebe, dem Einfluss von Sinneswahrnehmungen auf die Stimme, der Achtung verschiedener an der Stimmgebung beteiligter Systeme (Atmung, Organwelt etc.) gewährleistet durch eine empfindungsorientierte Arbeit einen Transfer erreichter stimmlicher Ziele – da sich die neue Stimmfunktion in den Körper wortwörtlich (als anderes Muster bspw. sich zu aufzurichten, zu bewegen, zu atmen und Stimme zu geben und zu artikulieren… ) einschreibt

* der von Heptner vorgestellte Ansatz baut auf der Prämisse auf, dass es funktionelle Beziehungen zwischen Körpersystemen (Atmung, Haltungs- und Bewegungsmuskeln, Organwelt…), der psychoemotionalen Verfassung, situativen kommunikativen Kontexten und Kehlkopfaktivitäten gibt – es handelt sich also auch um einen „Embodiment“-Ansatz, welcher sich um die Annäherung des Phänomenologischen mit dem Anatomisch-Bekannten und Gegeben bemüht

* es ist bekannt und neurologisch abgesichert, dass es Aktivierungsmuster zwischen Kehlkopfmuskeln und der Atmung (damit implizit auch Umfang, Form…) gibt – die Stimmlippen führen auch in Ruhe und Stimmgebung Aktivitäten durch – dadurch wird eine Ansteuerbarkeit dieser Muskeln bei der Stimmgebung durch Atmung und Bewegungen denkbar

* die Doppelventilfunktionstheorie wird hiermit untermauert, da zum Beginn der „Postinspiration“ (unforcierten Ausatmung) die Stimmlippen hohe Erregungsimpulse zur Schließung erhalten und damit neurologische Beziehungen zwischen der Atemmuskulatur und den Stimmlippen bestehen (ein „funktionales Grundpostulat“)

* da alle Körperhaltungs- und Bewegungsmuskeln auch Atemmuskulatur darstellen und an dieser beteiligt sind (mehr oder minder), bestehen über diese Möglichkeiten, die Stimmlippen neurologisch und biomechanisch günstig zu beeinflussen

* damit sind Möglichkeiten gegeben, funktional-arbeitend direkt an der Stimmlippe in ihrer Funktion anzusetzen, um typische Ziele einer „trans* Stimmarbeit“ (ich nenne es zurzeit: gender-informierten Stimmarbeit) zu verwirklichen:

Tonhöhe: einer der als stärksten als relevant wahrgenommenen Punkte wird – in konsequenter Durchsetzung (von welcher man abweichen kann) – zunächst gar nicht beübt. Aber eine Tonhöhenhebung – unwillkürlich! - ist typischerweise eine Begleiterscheinung. Das bedeutet, Tonhöhe wird weniger direkt angesteuert oder ein Klang „manipulativ“ erzeugt – sondern sie ist, wie auch der Rest vom neuen Klang – Ergebnis des eigenen Embodiment (Verkörperns als leiblich-sinnliche Erfahrung) der Stimme

Klang“ – Resonanz: populär ist der Ansatz, den Vokaltrakt/die oberen Atemwege mithilfe von multifunktionellen und neurologisch miteinander durch Reflexe verschalteter Muskelgruppens (Schluck-, Kau- Mimik… Muskeln) der Raum oberhalb und innerhalb des Kehlkopfes verkleinert. Dies hat Auswirkungen auf die Schwingungseigenschaften und die Klangverstärkung im Raum oberhalb der Stimmlippen und erzeugt damit eine anders klingende Stimme. Diese Ergebnisse können ästhetisch höchst befriedigend sein, sind allerdings oft auch mit Anstrengung verbunden und können einen stimmlichen Verfall unter Bewahrung von stimmhygienischen Gegenmaßnahmen vorantreiben. Es wird dabei oft nicht bedacht, dass der Kehlkopf ein Multifunktionsorgan ist mit prioritären Reflexen (Schutzreflexe sind wichtiger als „schöne und anstrengungsfreie Stimme“), einer flexiblen und damit beeinflussbaren Biomechanik und dass der Resonanzraum zur Klangquelle passen musst. Die Klangquelle sind die Stimmlippen. Da ihr Öffnungs-, Schluss-, Schwingungsverhalten tendenziell gestört wird oder werden kann, ist dies nicht nur ein störungsanfälliges Muster (again: Stimmhygieneübungen sind not just for fun), sondern der Klangraum beeinflusst oder behindert die Schwingungsquelle an sich, wodurch eine Kehlkopfabhängigkeit in seiner Funktion von raumverengenden Strukturen entsteht. Was kann eine funktional-orientierte Alternative sein? 1. „Aus der Öffnung in die Schließung“: a.) Es ist tendenziell günstiger, aus einem (am Unterdruck-system orientierten) Vokaltrakt und elastisch tief-hängendem Kehlkopf ein neues Stimmmuster zu erlernen und b) dann gegebenenfalls durch eine differenzierte Wahrnehmung und Ansteuerbarkeit den Klang / den Raum so zu beeinflussen, dass er eine belastbare, aber vllt. auch „engere“ / Überdruck-nahe Stimme dynamisch unterstützt.

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Das ist der funktionale Gedanke – letztendlich entscheidet die Person vor mir, was sie möchte und ich biete an, teile meine Einschätzung unter Darlegung meiner Argumentationsstränge vor und lasse sie wählen – und lasse sie zudem alles ausprobieren und vermittel ihr auch, dass sehr vieles (auch „nicht-funktionales“ geht und möglich ist – unter gewissen Bedingungen) realisierbar ist und einen Werkzeugkasten, der das Beste und Konkreteste aller Ansätze in sich vereint

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Die durch diese Stimmarbeit angeregten Stimmen tragen oft im Klang, Aspekte, die ich wie folgt beschreiben würde leichter, müheloser, offener, weicher, schlanker, höher, heller, strahlender, ruhender, fließender, tragender, beweglicher, geschmeidiger, sinnlicher…

Melodie

Eine bewegliche Stimme erfordert flexible, dehnungsfreudige und reaktive Stimmlippen – in ihrer Tendenz der ständigen Bewegung und des Bewegtwerdens können der Ausbau von Melodie beübt werden – Körperübungen können bspw. beübt werden mit fließenden Atem- und Körperbewegungen und stimmlichen Tönens oder Glissandierens auf randstimm- und luftflussnahen Frikativen Vokalen oder deren Verbindungen (bspw. f/w, ch-j… - (überlüftete) u, ü, i) und Kombinationen. Der Aufbau einer schlanken und fließenden Stimm- und Artikulationsgebung unterstützt bzw. fordert oft eine genauso bewegliche Stimmelodie mit sich. Beim Beüben von Floskeln bspw. können Tonhöhenschleifbewegungen in Vokalisen und dann mit Integration der Konsonanten beübt werden (klingt jetzt komplizierter, als es wirklich ist).

 

Artikulation

In meiner Arbeit hat sich gezeigt, dass ein gelöster Kiefer an einem balanciert aufgerichteten Schädel, als auch eine entspannte Vokaltraktmuskulatur einen effektiven und als positiv-empfundenen neuen Stimmklang generieren kann. Damit habe ich es auch schon verraten: die mimische Muskulatur und unsere Artikulatoren sind alles Muskeln der Vorverdauung und der Atmung und überwiegend vereengen sie den Vokaltrakt und sprechen das Überdrucksystem des Körpers bei Stimmgebung an. Tipps wie „ständig lächeln“ beim Sprechen haben funktionelle und klangliche Ergebnisse, die das Passing verbessern können – aber: es gehört zu einem in der Stimmtherapie häufigsten, problematischen Muster mit tendenziell negativem Einfluss auf die Stimmfunktion. Die gleichen Lächelmuskeln machen nämlich Kiefer und Rachen dicht und verhindern eine Kehlkopfabsenkung und damit unterminieren sie Atmung, Körperhaltungs- und bewegungsmöglichkeiten und die Kehlkopffunktionen (Unterdrucksystem wird unzureichend stimuliert). Mit nuancierten Spannungsverhältnissen kann die Beschäftigung interessant sein. Ebenso mit dem Lippenring an sich in seiner Wahrnehmung von Feuchte, Temperatur und Dehnung. Die Stimme kann hierauf schnell mit einem helleren und weicherem Klang reagieren. Der Artikulation und Wahrnehmung im vorderen Mundbereich gilt besonderes Augenmerk – die Zunge kann in ihrer Gestaltung die Stimmfunktion nämlich auch positiv beeinflussen und unterstützt damit die Raumgestaltung. Das bedeutet auch eine Aufrichtung des Kehldeckels, nicht dessen Herabdrückens wie „beim Twang“. Gleichzeitig können weiche Lippenrundungsübungen eingesetzt werden, um den Rachenraum zu flexibilisieren und in seiner Beweglichkeit und Offenheit zu stabilisieren. Die Lösung des Kiefers und Zungengrunds kann durch Massage, Entspannung, Dehnung, Kopfbewegungen, Atemübungen etc. angeregt werden. Prinzipiell unterstützen geschmeidige, mühelos-fließende und ineinander übergehende Bewegungen (bspw. Rotationen) des Kopfes die Abgabe von Spannung im Halsbereich, besonders der vorderen Halswand. Gibt die vordere Spannungskette in Dehnung nach und bleibt der Rachen gelöst, wird die Stimme hier schon oft druckloser, heller, mitunter auch weicher. Allein das stellt oft schon eine unerhoffte „Verbesserung“ (im Sinne einer Zielannäherung) dar für beide Seiten. Eine aufgerichtete, schlanke, bewegliche Zunge und eine tendenziell nach vorn verlagerte Artikulationsbasis richtet den Kehlkopf auf, vermindert eine Annäherungs-Chance für die Taschenfalten und ermöglicht dem Kehlkopf durch seine entspanntere Aufhängung ein anderes, neues Organisationsmuster für unsere Stimme zu erzeugen.

Körpersprache, Mimik, Beziehungsverhalten, Raum- und Distanzverhalten

Aus Sicht des Embodiments und auf der Prämisse, dass spezifische Funktionen der Stimmfunktion ähnlich eines Baukastenprinzips (nur mit Wechselwirkungen unter den Bausteinen) wie bei Estill (nur eben funktional-orientiert) ansteuerbar sind, bestehen Beziehungen zwischen unserem Selbst- und Fremderleben und wie wir uns in dieser Begegnung von „ich“ und „du“ in unserem Verhalten, unserer Lautstärke, Tonhöhe, Melodie, Rede- und Atemfluss, unserer Botschaft verorten. Stimmgebung ist ein fortlaufender, sich erneuernder Prozess. Er ist performativ im Sinne der Theater- und Geschlechterforschung, indem er sowohl singulär, als auch repetetiv ist. Eine sich um sich selbst orientierte und sich selbst immitierende Schwingungsform. Vielleicht haben Sie ja auch mal gern auf einem Blatt einen Kreis schwingend gemalt und versucht, diesen immer wieder gleich nachzuzeichnen, aber wichen immer nur um einen Millimeter ab. Der Kreis in seiner Grundform bleibt erhalten und wird definierter, aber er wird immer auch umspielt. Ähnlich verhält es sich hier. Und dieses Selbst der Stimme ist nun eingebunden in eine körper-leibliche biosoziale und vor allem ego/alter ego (hier ich und du) Situation. Hier spielen wir mit den autonomen Bedürfnissen und Realisierungsmöglichkeiten der Stimme und unseren intentionalen Gestaltungs- und Einschreibungswünsche. Das heißt: Kontext (beruflich/privat, öffentlich-zuhause, Sprechbelastung, Intensität), Intention, Beziehungsebene beeinflussen die Auswahl an Übungen und Themen und orientieren sich damit an der Lebenswirklichkeit der Klient:in vor mir und ihren Zielen. Diese können sich auf die reflektierte Beschäftigung von Szenarien und sozialen Situationen beziehen. Telefontrainings können auf Strategien für die Telefonnutzung in Bezug auf die initiale Genderzuschreibung des Hörenden gezielt beziehen. Skripte stellen eine wunderbare Möglichkeit dar, selbst- und stimmsicher sowohl Inhalt und „Medium“, also Stimmklang, zu beeinflussen. Der Einbezug alltäglicher Körperbewegungen (bspw. nicken) und Lautäußerungen (Affektlaute, zustimmendes und nachdenklichs „mh“, „ähm“) kann stimmlich-stabilisierte Ziele (bspw. Tonhöhe, Einsatz…) in den Alltag transferierbar machen. Dies hat mehrere Vorteile: erstens wird die Person vor mir schnell handlungsfähig und in ihrer Eigenmacht bestärkt – dies unterstützt die Motivation für den weiteren Verlauf, wenn es beübt wird. Zweitens: Steigert diese positive Erfahrung die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere Übungen, die komplexer und weniger „kognitiv“ zugänglich sind, auch wirklich regelmäßig geübt werden (bspw. Kopfrotationen mit bestimmten Laut-Vokalpaaren auf eine bestimmte Weise ins fließen->tönen bringen). Viele dieser Bewegungsübungen sollen auch Elemente enthalten, die gender-konnotiert verstanden werden – Überkreuzbewegungen beim Laufen unterstützen nicht nur den „weiblichen Hüftschwung“, sondern die Dehnungsbereitschaft, als auch verschlankte Aufrichtung des Körpers, worauf die Stimme gleichsam folgt. Schaut euch die „Spirallinie“ nach Myers an, die Rotationsschlinge des Körpers. Heptner assoziiert die Rotatoren mit der flexiblen Vokaliszopfstruktur. Ebenso Dehnungserfahrungen. Rotatorische Atmungen und Bewegungen können die körperliche und damit stimmliche Entfaltung, Verschlankung, Aufrichtung, Weichheit und Fluss unterstützen. Ich stelle mir gern folgendes Bild: Wenn wir soweit gehen können zu glauben, dass Atmung – also Formen, Tiefe… also verschiedene Muskelaktivitäten – neurologisch mit den Stimmlippen und dem oberen Vokaltrakt rhythmisch-aktiv verbunden sind, und wir diese Strukturen ansprechen können, dann lassen sich Elemente so kombinieren, dass sie ein neues weiblich-konnotiertes Stimmuster darstellen.

 

Nun zum Ergänzenden: Wir bewegen uns im Alltag in unserem Sprechen immer zwischen dem Unterdrucksystem und Überdrucksystem. Wir sprechen in Ausatmung und haben mitunter mehr oder minder stimmstörungsverursachende und verfestigende Strukturen im Hals co-aktiv. Hier die Tendenz zur Deaktivierung dieser Strukturen zu legen und die Stimmlippen in ihrer Aktivität, Beweglichkeit und anschließend neuem Bewegungsmuster als Klang zu legen, ist aus meiner Sicht unabdingbar. Das stellt auch ein Kerngedanke(!) des bspw. LaKru-Konzepts dar – die Bedeutsamkeit dieser Arbeit kann nicht untertrieben werden! Mir geht es um eine Differenzierung der Stimme zunächst aus einem physiologischeren Framing – eventuell wird hier die Stimme bereits als befriedigend erlebt. Und anschließender, eventueller Integration weiterer Gestaltungsmöglichkeiten des Vokaltraktes, die weniger undifferenziert sein können, als üblicherweise bspw. in Laien-Programmen vermittelt. Das Überdrucksystem ist nicht „böse“ – aber die Abhängigkeit von diesem durch den Kehlkopf, als auch dessen Zulangeswirken auf die Stimme, schätze ich als stimmgefährend ein. Wie weit stimmhygienische Maßnahmen und maßgeschneiderte Zugriffe auf die eigene Vokaltraktgestaltung hier wirken, kann ich allerdings nicht einschätzen. Aber ich schätze sie als absolut sinnvoll, notwendig und clever ein. Gerade viele SOVT’s, die eine Evidenzlage aufweisen können, und auch an die Akzentmethode ankoppeln werden, wie das traditionelles Summen können funktional-gedacht, als auch auf die Zielsetzung gedacht, eingesetzt werden. Gerade der Arbeit mit drucklos gebildeten, luftflusslockenden Lauten ermöglicht eine Stimmfunktion zu erreichen, die nicht einfach nur „weich“ oder kollabiert (verhaucht) wäre. Hierbei können Rotationsbewegungen der Extremitäten oder des Kopfes langsamer oder schneller eingesetzt werden. Weiche, fließende Drehbewegungen wie beim engen Überkreuzlauf (Heptner: „Catwalk“), Armbewegungen (Atemschriftzeichen, Kreise, und die gepriesene „liegende Acht“) unterstützen ganzkörperlich viele wechselseitige Dehnungs- und Aufrichtungsbewegungen. Inklusive in der Stimme. Wenn wir in der Schlucktherapie davon ausgehen, dass eine Kehlkopfdrehung zur Seite den Glottisschluss positiv beeinflussen kann, nutzen wir dies auch in der Stimmtherapie. Es erscheint mir plausibel, dass einer flexibles Knorpelgerüst wie der Kehlkopf, verschiedene Dehnungs- und Kompressionsreize erhält, die die Stimmlippen in ihrer Dehnungsbereitschaft und eines manchmal fast „passiv anmutenden Schlusses ansprechen. Auch beeinflussen diese Bewegungsarten und -qualitäten das autonome Nervensystem, Fasziengewebe (und damit Kraftübertragung, Stabilität, Geschmeidigkeit, Aufrichtung…) und damit sicherlich vielseitig die neuronale Erregung der Stimmlippen, ihren Grundtonus, ihre Schwingungseigenschaften, Parameter wie Tonhöhe, Lautstärke, Klangfarbe und Vokaltraktgestaltug während ihrer Öffnung (Einatmung) und Schließung (bspw. für Stimmgebung).

Vereinfacht gesagt bedeutet das hier, dass eine balancierte Aufrichtung, eine schlanke Aufrichtungsempfindung, mitunter eine eher intimere, „kleingruppenorientierte“ (Raumerfahrung) Intentionalität beim Sprechen und Bewegen, der Einsatz weicher und fließender Bewegungen (ohne großen Aufwand) bspw. mit Händen, Fingern, Kopf uvm. Als Erfahrungen in Bezug auf Stimme reichen, um einen neuen, befriedigenden Klang zu entwickeln und sich gleichzeitig mithinein zu entwickeln (Selbstbildveränderung). Diese Arbeit unterstützt den Grundgedanken einer demütigen Haltung, die die Autonomie des Gegenüber respektiert und Optionen anbietet (kontrastive Übungen, transparentes konzeptionales Offenlegen und Wählen lassen, Vorstellungs- und Praxisübungen paradoxer Muster der Stimmgebung…), um informierte Entscheidungen zu treffen und differenziert die eigenen stimmlichen Möglichkeiten zu erforschen und aufgrund einer eigenen Entscheidung einen eventuell neuen Klang findet. Mitunter ändert sich das angestrebte stimmliche Ideal und die Zufriedenheit und Einstellung zur eigenen Stimme ebenso. Denn prinzipiell *muss* man nichts ändern, mensch *kann* aber – wenn es leider auch die Umstände, finanziellen und persönlichen Möglichkeiten erlauben (keine täglichen Gewalterfahrungen im heteronormativen Gesellschaftsalltag erleben zu müssen, weil man von anderen nicht cis gelesen wird vermeiden zu können, ist oft erstrebenswert). So kam es auch schon vor, dass wir ausschließlich für diese Funktion der Stimme im Alltag eine neue beübt haben (zur Sicherheit) – und die Klientin mit ihrer gewohnten zufrieden war.

 

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